Fachinformation
15.03.2023 Fachbereich Ältere Menschen, Ältere Menschen, Pflege

Stellungnahme der BAGFW zum Referentenentwurf des BMG zu einem Gesetz zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege (Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz – PUEG)

Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammengeschlossenen Verbände haben innerhalb einer kurzen Frist eine gemeinsame Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMG zu einem Gesetz zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege (Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz – PUEG) abgegeben. Als besonders besorgniserregend wird hervorgehoben, dass mit diesem Gesetzentwurf erneut keine dringend notwendige Strukturreform der sozialen Pflegeversicherung, vor allem im Bezug auf die Finanzierung von Pflege erfolgt.

Um die soziale Pflegeversicherung langfristig auf eine tragfähige Basis zu stellen, ist eine ernsthafte Debatte über die zukünftige Finanzierung der Pflegeversicherung zwingend notwendig. Dabei ist vor allem die Einnahmebasis der Pflegeversicherung stärker zu verbreitern. Das müsse bei einer grundlegenden Reform unmittelbar mitgedacht und kommuniziert werden.

Der Paritätische hatte sich kurz vor Veröffentlichung des Referentenentwurfes erneut für den Ausbau der Pflegeversicherung zu einer Pflegevollversicherung ausgesprochen (siehe PM vom 21.02.2023). Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Dr. Ullrich Schneider, konstatierte darin: „Wo jeder dritte in Armut und Sozialhilfe fällt, sobald er oder sie auf Pflege angewiesen ist, hat die Pflegeversicherung in ihrer jetzigen Form ihre Legitimation verloren”. Und: „Wir müssen die Absicherung des individuellen Pflegerisikos neu denken, wir brauchen eine Pflegevollversicherung, die bedarfsgerecht alle pflegerischen Leistungen abdeckt”.

In der Stellungnahme der BAGFW wird der für die Pflegereform vorgesehene Finanzrahmen eines moderaten Anstiegs des allgemeinen Beitragssatzes um 0,35 Prozentsatzpunkte als zu gering angesehen, um die selbst im Koalitionsvertrag vorgesehenen Vorhaben umzusetzen. Der Referentenentwurf bleibt hier hinter den selbst gesteckten Zielen der Bundesregierung deutlich zurück. Zu nennen wären hier z. B. handfeste Strukturelemente zur Begrenzung der Eigenanteile, die Herausnahme der Ausbildungskosten aus den Eigenanteilen, aber auch Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen (trägereigene Springerpools, Abschaffung geteilter Dienste usw.).

Um alleine diese Herausforderungen meistern zu können, werden dringend Bundesmittel für die Pflegeversicherung gebraucht. Weitere erforderliche Reformschritte in der Pflege zur Stärkung der häuslichen Pflege seien zudem nicht erkennbar. Die Entlastung der Pflegebedürftigen von den Eigenanteilen kommt mit den im Referentenentwurf beabsichtigten Leistungsverbesserungen nicht entscheidend voran. Wir brauchen eine Finanzierung der Pflegeleistungen mit der das Problem der Eigenanteilsbelastung gelöst wird und mit der die Pflegeversicherung wieder ihrer Funktion gerecht werden kann.

In einer vorläufigen Bewertung des Referentenentwurfes nehmen die in der BAGFW zusammengeschlossenen Verbände zu folgenden Punkten Stellung:

  1. Die dringend erforderlichen Leistungsverbesserungen in der häuslichen und stationären Pflege erfolgen mit dem 01.01.2024 zu spät und mit 5 Prozent zu gering, um wenigstens die Inflationsrate auszugleichen. Darüber hinaus werden nur das Pflegegeld, die Pflegesachleistungen und die prozentualen Zuschüsse zu den Eigenanteilen nach § 43c zum 01.01.2024 angehoben und nicht alle Leistungen der Pflegeversicherung. Nicht hinnehmbar ist insbesondere, dass der Entlastungsbetrag für Pflegebedürftige des Pflegegrads 1 nicht angehoben wird.
  2. Kritisiert wird darüber hinaus, dass auch die vorgesehene Dynamisierung in den Jahren 2025 und 2028 nur anhand der „Kerninflationsrate“ erfolgen soll, sodass die Preis-steigerungen für die gegenwärtigen Preistreiber Energiekosten und Lebensmittel unberücksichtigt bleiben. Das Problem einer andauernde Unterfinanzierung löst zudem eine Dynamisierung nicht.
  3. Die in der BAGFW zusammengeschlossenen Verbände anerkennen und begrüßen, dass endlich ein gemeinsamer Jahresbetrag für die Kurzzeit- und Verhinderungspflegeeingeführt werden soll. Ebenso sollen die Wartefristen der Verhinderungspflege gestrichen werden ein jährliches Pflegeunterstützungsgelds im Umfang von 10 Arbeitstagen analog zum Kinderkrankengeld gewährt werden. Jedoch auch hier verhindert der zu knapp bemessene Finanzrahmen der Pflegeversicherung notwendige Re-formschritte.
  4. Die Entlastung der Pflegebedürftigen von den Eigenanteilen kommt mit den im Gesetzesentwurf beabsichtigten Leistungsverbesserungen nicht entscheidend voran. Wir brauchen eine Finanzierung der Pflegeleistungen mit der das Problem der Eigenanteilsbelastung gelöst wird. Dazu gehört auch, dass die Kosten für die medizinische Behandlungspflege aus dem SGB V refinanziert werden und die Pflegebedürftigen von der Ausbildungskostenumlage entlastet werden. Des Weiteren sollten nicht alle Bestandteile der Investitionskosten der Einrichtungen zulasten der Pflegebedürftigen gehen, weshalb eine verpflichtende Finanzierung über die Länder und in allen Ländern zu regeln ist.
  5. Mit den ergänzenden Regelungen zur Personalbemessung nach § 113c SGB XI können zuvörderst die bisher fehlenden Pflegeassistenzkräfte mit dem Qualifikationsniveau 3 angemessen mit vorhandenen und geeigneten Mitarbeiter*innen in einem begrenzten Zeitraum substituiert werden. Dies entspricht unserer begründeten Forderung, für fehlende Assistenzkräfte des Qualifikationsniveaus 3 eine gesetzlich verankerte, verantwortungsvolle und fachlich abgesicherte Übergangslösung zu schaffen. Dies wird daher ausdrücklich begrüßt. Die explizite Aufnahme zur Anerkennung von bestandenen „Externenprüfungen“ wird als Signal an die Bundesländer gewerert, dort die entsprechenden Verfahren schnell zu befördern. Im Gesetzesentwurf wird die weitere Umsetzung der Personalbemessung etwas mehr konkretisiert, es bleibt aber weiterhin offen, wie es nach der aktuellen Ausbaustufe weitergeht. Wir vertreten nach derzeitiger Faktenlage die Auffassung, dass perspektivisch die Ergebnisse aus PeBeM und somit der Algorithmus 1.0 zu 100 % umgesetzt werden müssen. Die aus Gründen der Kohärenz beabsichtigte bundeseinheitliche Festlegung von Zielwerten für eine mindestens zu vereinbarende personelle Ausstattung, welche dem Grunde nach mit weiteren Ausbaustufen korrespondieren müssten, ist inhaltlich nachvollziehbar, stellt aber eine Herausforderung dar. Hier ist darauf zu achten, dass das Vorgehen wegen der benötigten Daten nicht zu einem Bürokratiemonster ausartet, welches vollstationäre Pflegeeinrichtungen ausbaden müssen. Größere Sorgen bereitet den in der BAGFW zusammengeschlossenen Verbänden weiterhin die Auswirkungen des § 113 Absatz 6 SGB XI. Solange diese Entwicklung nicht durch eine entsprechende Kompensation der Eigenanteile eintritt, fordern wir die ersatzlose Streichung der § 113c Absatz 6 SGB XI.
  6. Die Verlängerung der Förderung der Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf nach § 8 Absatz 7 SGB XI sowie die Entfristung der Anschubfinanzierung zur Digitalisierung nach § 8 Absatz 8 SGB XI werden ausdrücklich begrüßt. Sehr praxisnah ist die Einführung der Möglichkeit, auch WLAN und IT förderfähig zu machen. Gleichzeitig steht den Fördermöglichkeiten häufig der hohe Eigenanteil und fehlende Flexibilität in der Inanspruchnahme der Fördermittel entgegen; diese Hürden sollten gesenkt werden.
  7. Grundsätzlich positiv bewertet werden die Ansätze zur Innovation in diesem Referentenentwurf: Die in der BAGFW zusammengeschlossenen Verbände messen Versorgungs- und Unterstützungsstrukturen im Quartier eine hohe Bedeutung bei und sehen hier Handlungsbedarf, der von den Vorschlägen des Gesetzesentwurf abweicht bzw. diesen konkretisiert. 
  8. Nach wie vor fehlt eine bundesweite Strategie zur Digitalisierung in der Pflege. Diese muss die Grundlagen für die Einrichtung eines Kompetenzzentrums festlegen, wie es einzelne Verbände der BAGFW im Rahmen des Verbändebündnisses “Digitalisierung in der Pflege” gefordert hatten. Die im Gesetzesentwurf genannten Aufgaben des zu gründenden Kompetenzzentrums Digitalisierung und Pflege misst die BAGFW eine hohe Relevanz bei, einzelne ihrer Mitglieder hatten ein solches Zentrum im Rahmen des Verbändebündnis “Digitalisierung in der Pflege” gefordert. Die Kernfunktion eines solchen Zentrums soll die Unterstützung der Digitalisierung in der Praxis der beruflich Pflegenden, der Einrichtungen und Dienste, aber auch der pflegbedürftigen Menschen und ihrer Familien sein. Allerdings wird die Ansiedelung einer solchen Institution beim GKV-Spitzenverbands äußerst kritisch gesehen, da dieser keine Kernkompetenz auf diesem Gebiet hat. Ein wirkungsvolles Kompetenzzentrum muss an neutraler Stelle angesiedelt werden. Deutlich kritisiert wird seitens der Verbände der BAGFW die Frist zur verpflichtenden Anbindung an die Telematikinfrastruktur (TI), die aus unserer Sicht zum derzeitigen Umsetzungsgrad der TI in der Pflege nicht umsetzbar ist
  9. Es wird eine begrüßenswerte Neustrukturierung des Begutachtungsverfahren vor-genommen. Darüber hinaus bedarf es dringend gesetzlicher Maßnahmen, die den gegenwärtigen Fristüberschreitungen und Begutachtungsdauern von sechs bis neun Monaten entgegenwirken und den Rechtsanspruch des Versicherten auf einen Bescheid nach 25 Tagen sicherstellen   
  10. Der vorgelegte Gesetzentwurf beinhaltet nur isolierte Einzelmaßnahmen, stellt keine ganzheitliche Systemverbesserung dar und auch die Versorgungssicherheit wird durch diese Reform nicht verbessert (weiter Unterfinanzierung der Pflegeleistungen, Pflegekräfte fehlen, weiter Überlastung des Systems der Pflegeversicherung und der Selbstverwaltung, Bewohnende rutschen in Sozialhilfe). Weiterhin verstärken Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Pflege (insbesondere Lohnerhöhungen) direkt die finanzielle Krise der pflegebedürftigen Menschen und ihrer An- und Zugehörigen. So sind keine grundlegenden Verbesserungen in den Einrichtungen möglich.
  11. Anstatt die Pflegeeinrichtungen und deren Beschäftigte von Bürokratie zu entlasten, werden eine Vielzahl an neuen bürokratischen Regelungen eingeführt, wie z. B. die Meldepflichten zum neuen Informationsportal zu Pflege- und Betreuungsangeboten nach § 7d SGB XI oder die sehr komplexen doppelten Anzeige- bzw. Informationspflichten beim Gemeinsamen Jahresbetrag nach § 42a SGB XI.

Die Befassung der Bundesregierung mit dem Referentenentwurf im Kabinett ist noch nicht terminiert, wird aber bis Ende März 2023 erwartet.  

Fachbereich Ältere Menschen, Ältere Menschen, Pflege
Quelle: Paritätischer Wohlfahrtsverband Gesamtverband e.V.

Verantwortlich:
Antje Muhl, Referentin Altenhilfe
Katja Schmidt, Referentin Altenhilfe